Warnung der Unesco Wattenmeer ohne Welterbe-Status – macht das was?

Imke Oltmanns
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Von Imke Oltmanns
| 20.10.2023 13:12 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
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Das Wattenmeer zieht jährlich viele Besucher an die Nordseeküste. Foto: dpa
Das Wattenmeer zieht jährlich viele Besucher an die Nordseeküste. Foto: dpa
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Die Unesco warnt vor Öl- und Gasförderung im Wattenmeer. Die Rohstoffgewinnung sei mit dem Welterbe-Status unvereinbar, heißt es. Was wäre das Wattenmeer ohne Welterbe-Siegel? Eine Umfrage.

Küste - Der Umgang mit dem Wattenmeer vor der Nordseeküste Deutschlands, Dänemarks und der Niederlande wird von einer UN-Organisation genau beobachtet. Die Unesco (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization) ist innerhalb der Vereinten Nationen zuständig für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation. Sie führt außerdem die Liste der Welterbestätten. Das sind Kulturdenkmäler und Naturstätten, die die Organisation als einmalig und besonders schützenswert betrachtet. Weltweit gibt es mehr als 1000 solcher Welterbestätten, darunter das Great Barrier Reef in Australien, der Grand Canyon in den USA oder Stonehenge in England.

Auch aus Deutschland finden sich 52 Natur- und Kulturerbestätten auf dieser Liste: darunter der Aachener Dom, die Höhlen und Eiszeitkunst der Schwäbischen Alb und seit 2009 auch das Wattenmeer. „Mehr als 10.000 Tier- und Pflanzenarten, zehn bis zwölf Millionen durchziehende Zugvögel pro Jahr, die größte Schlick- und Sandwattfläche weltweit – die transnationale Welterbestätte Wattenmeer ist sehr bedeutsam für die weltweite Biodiversität“, heißt es bei der Deutschen Unesco-Kommission. Doch verträgt sich das mit der Rohstoffgewinnung aus der Nordsee, inklusive der geplanten Offshore-Parks samt Leitungsbau? Die Welterbe-Kommission der Unesco meldete bei ihrer jüngsten Sitzung im September Zweifel an. Die Rohstoffgewinnung sei mit dem Welterbe-Status des Wattenmeers unvereinbar, hieß es sogar. Was wäre also, wenn das Wattenmeer vor unserer Haustür seinen Welterbe-Status verlöre? Würde man das überhaupt bemerken? Wir haben uns umgehört.

Der Nationalpark-Chef

Peter Südbeck leitet seit 2005 die Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer mit Sitz in Wilhelmshaven. Er ist also quasi der oberste Schützer des Wattenmeeres. Doch das Wattenmeer ohne Welterbe? „Das wäre schon ein ganz bedeutender Rückschlag für die gesamte Region“, findet Südbeck. Die Anerkennung als Weltnaturerbe habe damals einen echten Schub ausgelöst. So hätten die Anstrengungen für die Natur im Wattenmeer, also Artenschutz und Renaturierungsmaßnahmen, seitdem enorme Unterstützung erfahren. „Es gab nie so viel Naturschutz wie nach der Weltnaturerbe-Anerkennung“, sagt der Nationalparkleiter.

Peter Südbeck (links) ist der Leiter der Nationalparkverwaltung. Hier sitzt er neben Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD). Sie halten ein Ortsschild mit dem Titel „Unesco-Biosphärenregion“. Foto: Lennart Stock/dpa
Peter Südbeck (links) ist der Leiter der Nationalparkverwaltung. Hier sitzt er neben Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD). Sie halten ein Ortsschild mit dem Titel „Unesco-Biosphärenregion“. Foto: Lennart Stock/dpa

Und ganz konkret geht es dabei auch ums Geld. „Nicht direkt, immer indirekt“, wie Südbeck betont. Gerade habe man erst wieder Mittel aus dem Bundeshaushalt bekommen. Das habe zwar keinen unmittelbaren Unesco-Bezug. Dennoch: Die positive Wahrnehmung der Region wirke sich eben auch auf die Unterstützung durch das Land oder den Bund aus. Ein Entzug des Welterbe-Status „wäre ein negativer Ausweis“, sagt Südbeck. Seine Sorge: Die finanzielle Unterstützung könnte darunter leiden.

Der Tourismus-Chef

Mario Schiefelbein hat die touristische Entwicklung der gesamten niedersächsischen Nordseeküste im Blick. Er ist Chef der neu gegründeten Tourismusagentur Nordsee (Tano), deren Gebiet sich vom Dollart bis zur Elbmündung erstreckt. „Aus Sicht einer Destination ist diese Auszeichnung für die Vermarktung unbezahlbar“, schreibt er auf Anfrage. Richtig eingesetzt, könne der Titel viel Positives bewirken, denn bei Touristen genieße das Siegel hohes Ansehen und stehe für eine hohe Qualität.

Mario Schiefelbein ist Chef der Tourismusagentur Nordsee. Foto: Tano
Mario Schiefelbein ist Chef der Tourismusagentur Nordsee. Foto: Tano

Schiefelbein liefert auch ein paar Zahlen, die nahelegen, dass zunehmend Gäste kommen, die nicht nur Strandurlaub machen wollen, sondern sich auch für die Besonderheit dieser Küste interessieren. Laut einer aktuellen Studie der Universität Würzburg seien 15,3 Prozent der Gäste an der Nordsee Nationalparktouristen im engeren Sinne. 2007 seien es noch 10,9 Prozent gewesen.

Der Insel-Fachmann

Göran Sell ist seit vielen Jahren verantwortlich für den Tourismus auf der Insel Borkum und außerdem Geschäftsführer der Ostfriesische Inseln GmbH, einer touristischen Einrichtung aller sieben Inseln. Auch er sieht einen klaren Zusammenhang zwischen dem Welterbe-Status und dem Tourismus. „Mit der wachsenden Bedeutung von Nachhaltigkeitsthemen in der Bevölkerung steigt auch die Wahrnehmung der Auszeichnung ‚Weltnaturerbe‘“, schreibt er. Zudem gebe es weltweit einen wachsenden Welterbe-Tourismus. Die Auszeichnung sei also auch wichtig, um mehr internationale Gäste herzulocken.

Göran Sell ist seit vielen Jahren verantwortlich für den Tourismus auf der Insel Borkum und außerdem Geschäftsführer der Ostfriesische Inseln GmbH. Foto: Archiv/NBG
Göran Sell ist seit vielen Jahren verantwortlich für den Tourismus auf der Insel Borkum und außerdem Geschäftsführer der Ostfriesische Inseln GmbH. Foto: Archiv/NBG

Den Warnruf der Unesco-Welterbe-Kommission kann Sell allerdings verstehen: „Berechtigt hat die Welterbe-Kommission einen Beziehungszusammenhang hergestellt: Der Welterbe-Status steht für eine intakte Natur.“ Und der Tourismus in der Region lebe eben von einer intakten Natur. „Die Frage ist also nicht in erster Linie, was es für den Tourismus bedeuten würde, wenn das Wattenmeer seinen Welterbe-Status verliert, sondern, was es für den Tourismus bedeutet, wenn er sich nicht mehr auf einer intakten Natur gründen kann“, so Sell. Das wäre nämlich verheerend. Die Sorge: Eine stärker industrialisierte Nordsee würde Touristen abschrecken und dieser große Wirtschafsfaktor damit leiden.

Die Fischer

Dirk Sander aus Neßmersiel war selbst jahrzehntelang Fischer und vertritt deren Belange nun in verschiedenen Gremien. Unter anderem ist er Vorsitzender des Verbands der Deutschen Kutter- und Küstenfischer. „Das Welterbe“, schreibt er auf Nachfrage, „hat für die Fischerei große Bedeutung.“ Er betont auch, dass das Wattenmeer sozusagen mit der Fischerei seine Welterbe-Anerkennung bekommen habe. Die Fischerei also quasi als Teil des Welterbes. Ein Argument, das Sander gern bringt, wenn er sich mit Kritik beispielsweise von Umweltschutzverbänden konfrontiert sieht. „Im Wattenmeer selbst“, meint Sander, „wird sich nichts verändern, wenn wir das Siegel verlieren.“ Ähnlich sieht das Manuela Melle, die die niedersächsischen Muschelfischer vertritt. Folgen durch eine Aberkennung des Status sieht sie für ihre Branche nicht.

Dirk Sander vertritt die Fischer an der Nordseeküste. Foto: Oltmanns
Dirk Sander vertritt die Fischer an der Nordseeküste. Foto: Oltmanns

Zu den von der Unesco-Welterbe-Kommission kritisierten Vorhaben gehört das Ternaard-Gasprojekt, bei dem vom niederländischen Festland aus ein Gasfeld unter dem Wattenmeer angebohrt werden soll. In unmittelbarer Nähe des Welterbes vor der Emsmündung und den Inseln Borkum und Schiermonnikoog gelegen ist das Gasförderprojekt „GEMS – Gateway to the Ems“. Außerdem hat das Öl-Gas-Unternehmen Wintershall Dea den Wunsch, im schleswig-holsteinischen Teil des Wattenmeers weiteres Öl zu fördern. Zudem gibt es in den Niederlanden eine Genehmigung zur Förderung von 32 Millionen Tonnen Salz unter dem Wattenmeer.

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