Gerichtsverhandlung in Aurich Haben Hilfskräfte Spritzen verabreicht?

Bettina Keller
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Von Bettina Keller
| 28.08.2023 13:30 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
Zwei Zeugen sagten am Montag vor dem Auricher Amtsgericht aus. Foto: Ortgies/Archiv
Zwei Zeugen sagten am Montag vor dem Auricher Amtsgericht aus. Foto: Ortgies/Archiv
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Die Pflegedienstleiterin eines Ihlower Pflegedienstes soll Hilfskräfte Arbeiten machen lassen haben, zu denen sie gar nicht befugt waren. Aus Angst um ihre Jobs sollen sie sich nicht geweigert haben.

Aurich/Ihlow - Hat die Pflegedienstleiterin eines Ihlower Pflegedienstes verschiedene Krankenkassen betrogen, indem sie nicht korrekt erbrachte oder nicht erbrachte Leistungen abgerechnet hat? Insbesondere sollen Hilfskräfte Spritzen verabreicht und Katheterwechsel durchgeführt haben, obwohl sie dazu nicht befugt gewesen sind. Durch die 242 Taten im Zeitraum von 1. Januar 2015 bis 30. April 2017 soll ein Schaden in Höhe von 47.040 Euro entstanden sein. Die 66-jährige Angeklagte aus Aurich schweigt zu den Vorwürfen. Zwei Zeugen wurden am Montag bei der Fortsetzung des Prozesses vor dem Auricher Amtsgericht gehört. Vor ihrer Vernehmung ordnete Strafrichter Dr. Markus Gralla ein umfangreiches Selbstleseverfahren an. Auf die Verfahrensbeteiligten wartete ein hoher Stapel an Dokumenten – rund 600 Urkunden. „So müssen sie nicht verlesen werden. Sonst säßen wir vermutlich nächstes Jahr noch hier“, hob Gralla den Nutzen der Anordnung hervor.

Die erste Zeugin war als stellvertretende Pflegedienstleiterin im Unternehmen der Angeklagten angestellt, allerdings nur ein halbes Jahr lang. Die 53-jährige Ex-Großefehntjerin wohnt inzwischen in Hamburg, wo sie als Pflegedienstleiterin in der Kinderpflege arbeitet. Mehrfach gab sie zunächst an, sich an nicht mehr viel erinnern zu können – „bei mir ist in den letzten zehn Jahren so viel passiert“.

„Da können sie alle anzeigen“

Erst auf eindringliches Zureden des Richters, der ihr die Wichtigkeit ihrer Aussage vor Augen führte, wurde sie etwas konkreter. „Ich sage Ihnen, was in Hamburg abgeht in der Pflege, dagegen ist das nichts“, begann sie mit einem pauschalen Statement. Konkret auf das Abzeichnen von Leistungsnachweisen angesprochen, erklärte sie: „Ich bin ein Mensch, der zeichnet nur das ab, was er gemacht hat.“ Erneut versuchte sie sich in Erinnerungslücken zu flüchten. Schließlich räumte die Zeugin ein, beim Pflegedienst der Angeklagten seien „Sachen abgezeichnet worden, die andere gemacht haben, die das nicht dürfen“. „Das wird überall so gemacht. Da können sie alle anzeigen“, schob sie hinterher. Überhaupt lägen die Vorfälle doch schon so lange zurück, beklagte sie sich, worauf der Richter entgegnete, sie seien noch nicht verjährt.

Aus den Akten hielt er ihr vor, die Angeklagte soll gegen Mitarbeiter eine Kündigungsandrohung ausgesprochen haben, wenn sie Tätigkeiten nicht machten, für die sie nicht qualifiziert gewesen seien. „Das war so“, sagte die Zeugin. Auch sei das Kürzel einer Mitarbeiterin, die ausgeschieden war, noch zwei Monate lang verwendet worden, bestätigte sie ihre damals bei der Polizei getätigten Angaben. Die Angeklagte habe wie alle Pflegedienste das Problem gehabt, zu wenig examinierte Fachkräfte zu haben, meinte die Ex-Großefehntjerin. Anstatt Patienten abzugeben, sei die Arbeit durch Nicht-Fachkräfte gemacht worden.

Nicht-Fachkräfte machten die Arbeit

Auf Nachfrage des Ersten Staatsanwalts Jan Wilken berichtete die 53-Jährige, um einen Pflegedienst eröffnen und abrechnen zu können, würden in Niedersachsen ihres Wissens nach vier Fachkräfte benötigt. Diese Voraussetzung sei beim Pflegedienst der Angeklagten nicht gegeben gewesen: „Da war nicht viel Personal. Ja, es waren zu wenig Examinierte.“ Die Angeklagte hätte das mit der Versorgung gar nicht schaffen können. „Hilfskräfte gaben Spritzen, um ihren Job nicht zu verlieren“, fügte sie hinzu.

Die Zeugin und die Angeklagte trennten sich nicht im Guten. Anschließend gab es unter anderem ein arbeitsgerichtliches Verfahren. Die 66-Jährige würde sie auch heute nicht grüßen und böse anschauen, meinte die Ex-Großefehntjerin. Die Spannungen zwischen den beiden waren im Gerichtssaal zu spüren. Die zweite Zeugin, eine examinierte Fachkraft aus Marienhafe, war bei der Angeklagten für administrative Tätigkeiten auf 450 Euro Basis angestellt worden. Sie habe zwei Monate lang kein Geld bekommen und sei vors Arbeitsgericht gezogen. Im Dezember 2016 habe sie Geld zugesprochen bekommen. „Es ging ihr einzig um mein Examen, dass sie ihren Pflegedienst nicht zumachen musste“, meinte die 59-Jährige.

Der Prozess wird am 28. August um 9 Uhr in Saal 108 fortgesetzt.

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