Betrugsmasche

„Schockanruf“: 72-Jährige gibt Telefonbetrügern 60.000 Euro

Luca Hagewiesche und Julia Jacobs
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Von Luca Hagewiesche und Julia Jacobs
| 21.01.2022 15:51 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
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Das 72-Jährige Opfer gab den Betrügern sogar ihre Handynummer heraus. Das nutzen sie um her Druck auf die 72-Jährige auszuüben. Symbolfoto: Pixabay
Das 72-Jährige Opfer gab den Betrügern sogar ihre Handynummer heraus. Das nutzen sie um her Druck auf die 72-Jährige auszuüben. Symbolfoto: Pixabay
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Auf einen perfiden Telefonbetrug ist eine Frau aus dem Landkreis Leer hereingefallen. Die 72-Jährige gab den Tätern 60.000 Euro, weil sie dachte, dass sie so ihren Sohn aus dem Gefängnis holen könnte.

Landkreis Leer/ Overledingerland - Eine 72-jährige Frau aus dem Overledingerland ist am Donnerstag Opfer eines sogenannten „Schockanrufs“ geworden. Die Polizeiinspektion Leer/Emden teilt mit, dass sich bisher unbekannte Täter als Beamte der Polizei Hamm ausgegeben haben und der Frau sagten, dass ihr Sohn angeblich einen tödlichen Unfall verursacht hätte und sie nun zwingend eine fünfstellige Kaution zahlen müsse, damit ihr Sohn nicht im Gefängnis lande.

Die Geschädigte sagte der Zahlung der Kaution zu und teilte den Betrügern mit, dass sie nun das Geld von der Bank hole. Die Täter forderten die 72-Jährige auf, alles abzuheben, was verfügbar sei.

Täter gaben sich als mehrere Amtspersonen aus

Nach der Aufforderung gab die Frau schließlich auch den Betrügern ihre Handynummer preis, so dass sie rund um die Uhr für die Täter erreichbar war. Die Polizei teilt mit, dass die Täter dies nutzten, um durch weitere Anrufe Druck auf die 72-Jährige auszuüben. Die Frau erhielt noch mehrere Anrufe von den Betrügern, die sich als weitere Amtspersonen ausgaben, unter anderem auch als Richter.

Nachdem das Opfer unbemerkt 60.000 Euro aus ihrem Bankschließfach abgeholt hatte, teilten die Betrüger ihr mit, dass das Geld von einem Richter des Amtsgerichts abgeholt werden würde und fragten nach ihrer Adresse. Tatsächlich erschien auch ein Mann, der das Geld von der 72-Jährigen bei ihr zuhause abholte. Wegen einer angeblichen Rücküberweisung der Kaution fragten die Täter außerdem noch nach der Kontonummer des Opfers, die die Frau auch mitteilte. Der 72-Jährigen wurde außerdem auch eine 24-stündige „Schweigepflicht“ über den Vorfall auferlegt. Kurz nachdem das Geld abgeholt wurde, hatte die 72-Jährige Kontakt zu ihrem Sohn und bemerkte, dass sie betrogen wurde.

Schwierig Täter zu finden

Auch die Polizei in den Landkreisen Aurich, Wittmund und Emsland berichte von vermehrten Betrugsversuchen in den vergangenen Tagen. „Die Anrufe kommen immer in Wellen“, erklärte Svenia Temmen, Pressesprecherin der Polizeiinspektion Leer/Emden. Schon am Mittwoch hätten Kollegen aus dem Emsland von vermehrten Betrugsversuchen berichtet. „Da wussten wir schon, dass die Anrufe bald auch in Ostfriesland wieder losgehen und konnten noch Warnungen herausgeben“, sagte sie. Abgesehen von dem Fall im Oberledingerland scheint dies erfolgreich gewesen zu sein. Der Polizei in Ostfriesland sei bislang kein weiterer erfolgreicher Betrugsversuch bekannt. „Wobei wir von einer hohen Dunkelziffer ausgehen“, sagte Temmen. Viele würden Betrugsfälle aus Scham nicht anzeigen.

Eine genaue Zahl, wie viele Betrugsversuche es gab, gibt es nicht. „Die kannt man nicht mehr zählen. Es waren sicher mehr als 1000 Meldungen, die bei uns eingingen“, schätzte Temmen. „Es war wie eine Lawine.“ Mittlerweile seien die Anrufe wieder abgeflaut. „Aber das geht in geraumer Zeit wieder los. Wir sind daher immer in Alarmbereitschaft.“ Bei den Tätern handele es sich nicht um einzelne Personen. „Das ist organisierte Kriminalität, da stecken ganze Call-Center dahinter“, erklärte Temmen. Und die Täter würden immer wieder neue Maschen finden, wenn die alte nicht mehr lukrativ sei. Die Täter zu fassen, sei schwierig. Oftmals würden sie mit der Beute direkt ins Ausland flüchten. Im Fall der 72-Jährigen ermittelt die Polizei weiter. „Wir versuchen nun, den Abholer des Geldes zu finden“, sagte Temmen. Die Täter setzten ihre Opfer dermaßen unter Druck, dass diese nicht selten unter Schock stünden. „Viele kriegen dann richtig Angst“, so Temmen. Die Opferhilfebeauftragte der Polizei kümmere sich um Geschädigte und vermittle ihnen Hilfe.

Weisser Ring hilft den Geschädigten

Eine Anlaufstelle ist der Weisse Ring. Dass sich Geschädigte Hilfe holen, passiere aber selten. „Im vergangenen Jahr waren es vielleicht sechs oder sieben Leute“, sagte Wilfried Helmerichs, der Leiter der Außenstelle in Aurich. Die Erfahrung, auf eine Betrugsmasche hereingefallen zu sein, sei oft sehr schambehaftet. „Es kostet Überwindung, sich Hilfe zu holen“, sagte er. Meist helfe den Opfern schon ein Gespräch mit einer Fachperson. Nur die wenigsten benötigten eine Therapie. „In den Gesprächen steht oft auch die Frage im Raum: Wie erzähle ich das bloß meinen Kindern?“, sagte Helmerichs. Schließlich gehe es oftmals auch um das Erbe. „Darüber machen sich viele ältere Menschen in dieser Situation Gedanken.“

Die Polizei Leer/Emden weist noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass Polizeidienststellen und Verfolgungsbehörden in Deutschland keine Kautionszahlungen nach schweren Unfällen oder eine Sofortbargeldzahlung am Telefon verlangen. Auch werden nie Geldsummen persönlich von Angehörigen abgeholt. Außerdem sollten diese und auch andere Arten von Telefonbetrugsmaschen mit älteren Angehörigen, Eltern und Großeltern intensiv besprochen werden. Die Polizei empfiehlt, innerhalb der Familie eine Absprache zu treffen, wie im Falle eines versuchten Telefonbetrugs reagiert wird.

Informationsbroschüren und Rat können Interessierte bei den Präventionsstellen der Polizei erhalten. Auch besteht die Möglichkeit, Informationen und Broschüren online auf www.polizei-beratung.de zu bekommen, heißt es in der Mitteilung.

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